Was ein Besuch eines Kanzlerkandidaten alles mit sich bringt, erlebte gestern ASZ-Leiterin Steffi Albers.
„Ich habe sehr gut geschlafen“, erklärt die zierliche Sozialpädagogin, die im Bürgerhaus Kannenstieg den Hut auf hat, gut gelaunt. Seit 7 Uhr ist sie auf Achse, um sich auf den Besuch von Peer Steinbrück, SPD-Kandidat für den Kanzlerposten, vorzubereiten. „Ich hatte in den vergangenen Tagen jeden Tag eine To-do- Liste. Die für heute habe ich schon abgearbeitet“, meint sie zufrieden. Jetzt bleibt nur noch die ungewisse Frage: Hat man an alles gedacht? Im Vorfeld wurde Unkraut gejätet, durchgewischt, aufgeräumt. „Was man eben so macht, wenn Hausbesuch kommt“, meint ASZ-Besucherin Heidemarie Stucke lachend. Sie und ihre Freundinnen Margrit Rohde und Erna Nonn haben tatkräftig mitangepackt. Jetzt bleiben noch zwei Stunden bis der Besuch aus Berlin kommt. Zeit für eine Tasse Kaffee. „Setz dich doch mal fünf Minuten hin“, ermahnt Erna Nonn Steffi Albers. „Sie ist wie ein kleiner Quirl“, schickt die Seniorin hinterher.
Während im Innenhof Mikrofon- Tests durchgeführt und die Tische mit Decken versehen werden, läuft im Haus der normale Betrieb weiter. Annika Wolff kommt kurz vorbei, um mit Steffi Albers die Einschulung ihrer Tochter Leyla abzusprechen. Die Familie feiert in den Räumen des Bürgerhauses. Gegen 9.20 Uhr kommt die erste Besucherin. Steffi Albers stellt den „Hackenporsche“ von Renate Thiele beiseite und weist ihr einen Platz zu. Die Seniorin holt einen Zettel hervor, auf dem sie sich ihre Fragen an Steinbrück notiert hat: „Was will er gegen Altersarmut tun?“ Ihre Tochter lebt in Frankreich und seit sechs Jahren konnte sie sie nicht besuchen, weil ihr das Geld dafür fehlt, erzählt sie Steffi Albers, die sich trotz des Vorbereitungsstresses Zeit nimmt.
„Wir reden nachher über Ihre Probleme“, verspricht sie ihr. Dann schaut sie doch auf die Uhr, eine Stunde noch. Ein Fernsehteam von arte kommt an, Steffi Albers erklärt ihnen in der Kurzfassung, was das Haus alles anbietet: „Wir beraten, informieren, vermitteln und hören uns Probleme an.“ Zeit zum Plaudern bleibt aber nicht. Der Kaff ee ist durchgelaufen, Steffi Albers setzt eine weitere Kanne an. 9.45 Uhr, zwei Beamte der Magdeburger Polizei stellen sich vor, sie wollen aufpassen, dass niemand den Auftritt stört. Kurz darauf kommt das Bundeskriminalamt und lässt sich die Räume, die besucht werden, zeigen. Der Dienstalltag ruft derweil nach Steffi Albers. Gabriele Haberland vom Einrichtungsträger, dem Paritätischen, hat Schreiben mitgebracht, die sie unterzeichnen muss.
Dann bekommt sie moralische Unterstützung von Mutter Ursel Wegner. „Sie ist zwar klein und zierlich, hat aber so viel Ehrgeiz, dass sie alle mitreißt“, meint sie stolz.
An den Tischen sitzen inzwischen immer mehr, meist ältere Leute. Sie blättern in der Parteizeitung und lösen das Kreuzworträtsel. „Das S in SPD soll nicht sterben“, sagen sie oder „Im Krankenhaus ist man heute Kunde und kein Patient mehr“. Es ist kurz vor halb elf, nicht nur die Kameras warten. Steffi Albers ist nervös: „Hier fühlen Sie mal.“ Der Puls schlägt schnell. Eine eigene Frage an Steinbrück hat sie sich nicht überlegt, verrät sie noch schnell, dann fährt die dunkle Limousine vor. Im Pulk führt sie den Kanzlerkandidaten erst zur Sportund dann zur Malgruppe. Hobbykünstler Bernhard Meinecke drapiert sein Bild im Blickfeld und verwickelt Steinbrück in ein Kunstgespräch. „Das war etwas aufregend“, sagt er danach. Wolfgang Peters schummelt sich in den Rundgang und nagelt Steinbrück auf die rotrot- grüne Koalitionsfrage fest: „Warum verweigern Sie sich?“ Der weicht aus und geht weiter. „Seine Antwort stellt mich nicht zufrieden“, meint Peters. Die ganze Zeit im Hintergrund: Steffi Albers. Dann tritt der Kanzlerkandidat vor die wartende Menge, knapp 100 Leute zählt die Polizei. Zeit, um durchzuschnaufen, für die ASZ-Leiterin. Es geht um Grundsicherung, Mindestlohn, Blindengeld, Länderfinanzausgleich, aber auch um die Domplatz-Linden. Auch Renate Thiele hat die Gelegenheit, ihre Frage loszuwerden. „Das hat mir sehr geholfen“, verrät sie später. Dann drängelt Steinbrücks Pressereferent. Noch ein kurzes Interview mit der Volksstimme, dann ist er wieder weg. Und Steffi Albers ist die Erleichterung anzusehen. „Ich fühle mich sehr gut und bin noch voller Power“, sagt sie dennoch. Der Alltag hat sie auch gleich wieder, die ersten Senioren wollen mit ihr reden. Nach dem Stress ist vor dem Stress: Am 20. September feiert das ASZ seinen 20. Geburtstag. Aber ohne Steinbrück, der zwei Tage vor der Wahl anderes um die Ohren hat.
(Quelle: Volksstimme)
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